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Gelingendes Leben
Auf seinem Weg trifft Wiebicke die Philosophin Susanne Boshammer. Er richtet an Sie die Frage, was aus Ihrer Sicht die Krankheit unserer Zeit sei. Ihre Antwort hat mit dem zu tun, was immer mein Arbeitsansatz war und liest sich als Zitat oder Einschätzung von Wiebicke so:
„Bis vor 10 Jahren hätte ich gedacht, es ist die Ohnmacht. Das sehr verbreitete Gefühl, dass die Bedingungen des Gelingens des eigenen Lebens in den Händen anderer Leute liegen, nicht in den eigenen. Heute dagegen beobachte ich, dass viele Leute gar keinen Begriff mehr davon haben, was gelingendes Leben überhaupt ist“. … und das es schon an der Vorstellung fehlt, wie ein besseres Leben aussehen könnte.
Damit sind wir eng bei der Entwicklung der Arbeitslosenarbeit und der Mobilisierungspotenziale. Langandauernde Vereinzelung, mangelnde Erfahrungen der Selbstwirksamkeit führen bei vielen Langzeitarbeitslosen eher zu Ohnmachtsgefühlen, Wut und Aggressionen oder einem Fatalismus gegenüber dem System, das einen so auf Trab hält.
Mit der Zunahme der Dauer der Arbeitslosigkeit wird die eigene Handlungsmächtigkeit immer geringer, Frustration, Ohnmacht, Verlust von Struktur, Lebenswille und einem stärkenden sozialen Umfeld nehmen zu und die Idee oder der Glaube an das bessere Leben, oder wie es aussehen könnte, diese Idee, dieser Glaube und diese Hoffnung verschwinden im stillen
Kämmerlein gesellschaftlicher und teilweise sozialer Isolation. Und da sind wir u.a. wieder bei den Sozial- und Begegnungsräumen, in denen Austausch statt Individualisierung stattfinden kann, in denen Geschmack auf Gemeinschaftserfahrungen des gelingenden Lebens spürbar und möglich wird, in denen neu - oder manchmal auch erstmals -ein soziales Netz gesponnen werden kann, in denen miteinander gehandelt werden kann6.
Wie heißt es bei Raoul Follereau „Allein kannst Du nicht glücklich sein“.
Resonanz und Kooperation
„Das natürliche Ziel der Motivationssysteme sind soziale Gemeinschaft und gelingende Beziehungen mit anderen Individuen, wobei dies nicht nur persönliche Beziehungen betrifft, Zärtlichkeit und liebe eingeschlossen, sondern alle Formen sozialen Zusammenwirkens. Für den Menschen bedeutet dies: Kern aller Motivation ist es, zwischenmenschliche Anerkennung, Wertschätzung, Zuwendung, oder Zuneigung zu finden und zu geben. Wir sind - aus neurobiologischer Sicht - auf soziale Resonanz und Kooperation angelegte Wesen. … Die Motivationssysteme schalten ab, wenn keine Chance auf soziale Zuwendung besteht
(Hervorhebung BMA), und die springen an, wenn das Gegenteil der Fall ist, wenn also Anerkennung und Liebe im Spiel ist. Unabhängig von neurobiologischen Studien ist … seit längerem bekannt, das soziale Isolation oder Ausgrenzung, wenn sie über lange Zeit anhält, zu
Apathie und zum Zusammenbruch jeglicher Motivation führt. … Über längere Zeit vorenthaltener sozialer Kontakt hat den biologischen Kollaps der Motivationssysteme des Gehirns zur Folge.“7
Deutlicher kann man wohl den Stellenwert von Arbeitslosenzentren als Begegnungseinrichtungen nicht formulieren und deren Notwendigkeit dokumentieren.
6 Vgl. Joachim Bauer: Prinzip Menschlichkeit – Warum wir von Natur aus kooperieren. / Hamburg 2006 – 1. Aufl. S. 192 „Etwas ganz konkret miteinander zu machen, ist ein meist völlig unterschätzter, tatsächlich aber in hohem Maße Beziehung stiftender Aspekt...“
7 Joachim Bauer – Neurobiolog, Mediziner und Psychotherapeut in seinem Buch: Prinzip Menschlichkeit - Hamburg 2006 – 1.Aufl / S. 34ff.