UPDATE 29.03.2023
Die Antwort des Mönchengladbacher Bundestagsabgeordneten Dr. Günter Krings finden Sie am Ende unseres Beitrages.
- Gegen den Strich -
Sehr geehrter Herr Dr. Krings,
wir, die Mitglieder des Bündnisrates des „Bündnis für Menschenwürde und Arbeit“, wenden uns aus konkretem Anlass an Sie. Der Bericht in der Rheinischen Post vom 16. März 2023 „Zu jung für eine Strafe“ basiert offensichtlich u.a. auf einem Interview mit Ihnen. Im Gegensatz zu der abschwächenden Überschrift äußern Sie sich in dem Sinne, dass über eine Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters diskutiert werden müsse, es könne sein, dass „sich der Reifeprozess bei 12- und 13jährigen in den letzten Jahren beschleunigt hat“. Auf jeden Fall seien „sofortige Maßnahmen nötig“, zu denen gehöre, „straffällige Kinder und Jugendliche per Gerichtsbeschluss freiheitsentziehend unterzubringen. Deshalb müssen solche geschlossenen Einrichtungen wieder in allen Ländern stärker vorgehalten werden. Und die Länder und Kommunen müssen diese Möglichkeiten im Bereich der Jugendhilfe viel konsequenter nutzen. Eine falsch verstandene sozialpädagogische Zurückhaltung hielte ich hier für gefährlich“.
Diese Sätze, Herr Dr. Krings, erinnern uns an Ihre Rede vor dem Deutschen Bundestag im November 2022, als sie – dokumentiert auf WELT-Nachrichtensender – mit einer aggressiven Verve, die uns erschüttert hat, eine Mindeststrafe von 6 Monaten für die AktivistInnen der Aktionsgruppe „Die Letzte Generation“ forderten. Schon damals überlegten wir, uns an Sie zu wenden, jetzt aber müssen wir als Mönchengladbacher BürgerInnen intervenieren, weil Ihr Auftreten in der politischen Öffentlichkeit immer auch ein Licht auf diese Stadt, deren EinwohnerInnen Sie in Berlin präsentieren, wirft.
Wir erinnern Sie daran, dass wir alle, auch Sie, in einem demokratischen Staat leben, dessen Basis rechtlich die Verfassung und gesellschaftsdynamisch die kommunikative Lösung von Problemen ist, die zwischen Interessen- und anderen Gruppen nun mal auftreten. Wir fordern Sie auf, sich die prägnanten und mit staatlichen Preisen bedachten Gedanken eines der philosophischen Mentoren dieses Staates, Jürgen Habermas, über Kommunikation als Handlungsnotwendigkeit noch einmal zu vergegenwärtigen. Demokratie lebt vom Diskurs der in ihm aktiven Menschen und Gruppen, der manchmal kompliziert sein kann, manchmal erschöpfend, aber immer die erste Handlungsoption.
Ihre beiden Einlassungen transportieren ein obrigkeitsstaatliches Selbstverständnis, das jede demokratische Gesellschaft unterminiert, autoritär statt abwägend-nachdenklich, paternalistisch statt diskursoffen. Die jungen Leute von der „Letzten Generation“ haben sich diese Bezeichnung gegeben, weil sie Angst haben, genau das zu werden, und sie wollen uns Ältere, die ihnen die Klimazerstörung eingebrockt und seit Jahrzehnten so gut wie nichts gegen sie getan haben, aufrütteln, dabei in einer Weise verfassungstreu, wie wir es uns nur wünschen können: Ziviler Ungehorsam ist ein Lebenselixier demokratischer Gesellschaften. Die beiden Mädchen, die diese schreckliche Tat in Freudenberg begangen haben, werden vielleicht keinen glücklichen Tag in ihrem Leben mehr haben, und wie immer, wenn Kinder irgendeine Form der inneren Not entwickeln, die sie oft genug aggressiv nach außen richten, manchmal mit unsäglichen Folgen, muss die Frage der Erwachsenen lauten: Was ist in Erziehung und Entwicklung schief gelaufen, also welche Verantwortung tragen die erwachsenen Bezugspersonen, nicht nur die Eltern, aber sie natürlich primär?
Welche Reaktionen kommen von Ihnen, einem nicht unwichtigen Repräsentanten der deutschen parlamentarischen Demokratie? Sie rufen nach dem starken Staat gegen junge Menschen, nach autoritären Maßnahmen, Sie ziehen sogar den Wert sozialpädagogischer Arbeit, die in Deutschland nicht nur eine lange Tradition hat, sondern seit Jahrzehnten auch politische Nachlässigkeiten in der Sorge für junge Menschen – wir sagen nur: Bildungspolitik, Sozialpolitik, Familienpolitik - ausbügelt, infrage, und sie drohen denen, die auch Ihre und unsere Zukunft retten wollen, mit Freiheitsentzug. Das alles ist schwer zu ertragen.
Mönchengladbach ist seit mehr als 100 Jahren eine Stadt, in der soziale Arbeit, praktische Empathie für benachteiligte und ausgegrenzte Menschen, ehrenamtliche Tätigkeit für arme und verelendete Gruppen in der Gesellschaft zu Markenzeichen geworden sind: Der Volksverein, die Brandtskapelle, das TaK und viele Initiativen, Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen bemühen sich, das städtische Klima sozial und für alle Menschen lebenswert, zu gestalten, aber auch gegen ungerechte und bedrohliche Entwicklungen – wie die Klimaveränderungen – aktiv einzuschreiten. Wenn ein Vertreter dieser Stadt sich in der Öffentlichkeit so präsentiert wie Sie, fällt er diesem sozialen und zutiefst demokratischen Selbstverständnis vieler Menschen in Mönchengladbach in den Rücken. Wir sagen es unmissverständlich: Auf diese Weise wollen wir als BürgerInnen im Parlament und in der Regierung in Berlin nicht vertreten werden.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Christa Dressen, Wolfgang Fels, Wolfgang Hess, Dietmar Jung, Herman-Josef Kronen, Dr. Günter Rexilius, Axel Rayczik, Reinhold Siegers, Hartmut Wellssow
Antwort
Die Antwort unseres Bundestagsabgeordneten Dr. Günter Krings können Sie hier aufrufen: