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Bündnis für Menschenwürde und Arbeit

Nachrichten aus Gesellschaft und Arbeitswelt

Die verdrängte Klima-Zerstörungs-Konstante

Zur Debatte: Ein verhängnisvoller Realitätsverlust der KlimaschützerInnen


End Systemic RacismIn medias res: Klimaforschung, Future-Bewegungen, UmweltschützerInnen, viele Menschen, Verbände, Organisationen weltweit versuchen seit vielen Jahren zu verhindern, dass die klimatischen Systeme weiter aus dem Lot geraten und das Leben auf der Erde bedrohen. Der weitaus größte Teil dieser Klima- und Lebensrettungsdynamik ist in den Ländern oder Staaten angesiedelt, die zur Umweltverschmutzung – welch ein Euphemismus! -, zur Vernichtung der Lebensbedingungen für Menschen, Tiere und Pflanzen am meisten beitragen, also überwiegend auf der Nordhalbkugel. Dieser Zusammenhang zwischen fahrlässiger und vorsätzlicher Schädigung alles Lebendigen und Protest – manchmal sogar Widerstand – gegen sie leuchtet erstens ein, er könnte zweitens Hoffnung machen, weil die Verantwortlichen für den Schaden zwar gegen den Wind, der ihnen entgegen bläst, kreuzen können – was sie seit langem mit großem Geschick tun -, aber wenn er zu stark wird, könnten ihre fintenreichen Manöver ermatten.

Die Hoffnung trügt. Beide "Lager" verbindet eine für das globale Weiterleben vielleicht tödliche Gefahr: Sie übersehen die wichtigste klimaschädliche Komponente, die sich trefflich als Klima-Zerstörungs-Konstante (KZK) bezeichnen lässt. Die Gründe, für sie keinen Blick zu haben, sind recht verschieden. Für die einen war sie schon immer die selbstverständliche und deshalb nicht-bewusste Grundlage ihres Daseins, ihres Handelns und ihrer Vorstellungswelt, die anderen dringen mit ihren oft lautstark geäußerten Anklagen gegen Profit, Wachstum und Konsumterror vielleicht noch mit dem einen oder anderen Gewissensbiss, aber nicht mit ihren gedanklichen Anstrengungen zu ihr vor. Die hier vertretene These lautet: Rückt die Klima-Zerstörungs-Konstante nicht in den Fokus des Kampfes gegen den klimatischen Zusammenbruch, wird er nicht aufzuhalten sein.

Columbus und der europäische Humanitätsbruch

Mit dem Donner der Kanonen zum Abschied von Columbus aus Europa war auch so etwas wie der Startschuss für die Klimazerstörung gefallen. Sie beginnt mit den erbarmungslosen Übergriffen der Europäer und später derjenigen, die zu Nordamerikanern mutiert waren, auf die Teile der globalen Weiten, die nahezu alles bargen, was das Leben angenehm, luxuriös und übersättigt gestaltete. In den zwei bis drei Jahrhunderten nach Columbus, Vasco da Gama oder Magellan wurde Europa überflutet mit den natürlichen Reichtümern der okkupierten, teilweise zerstörten Völker und Kulturen jenseits der Ozeane. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hatten die Reiche und Staaten auf der Nordhalbkugel aus den Kontinenten Afrika, Asien und Mittel- und Südamerika unermessliche Mengen an Über- und Unterbodenschätzen – und Millionen Menschen als Sklaven - in den eigenen Besitz überführt. In den Laderäumen ihrer Schiffe lagerte neben Wasser und Lebensmitteln auch irgendwelcher wertlose Tand als "Gastgeschenke" für die eingeborenen naiven Nativen, in den Hirnen der Invasoren aber brodelte die Gier nach Gold und Silber und noch unbekannten Schätzen, ihr Gefühl von Stärke kam aus den Läufen ihrer Feuerwaffen. Der Kolonialismus bemächtigte sich weiter Teile der irdischen Welt, breitete sich aus und sorgte für den reibungslosen Zufluss von allerlei Waren und Menschen nach Europa und später nach Nordamerika.

Während die Herzen der Eroberer im kolonialistischen Rhythmus schlugen, war ihr Gebaren in den entdeckten Ländern seinem Wesen nach schon imperialistisch. Der formale Verzicht auf die üppigen, weiter und weiter über die südliche Hemisphäre ausgedehnten Kolonien – überwiegend zu Anfang des letzten Jahrhunderts – erwies sich als raffinierte Rochade, typisch für imperialistische Strategien der nord-westlichen Machtzentren, die ökonomisch und politisch hegemonial sind: Formale Zugeständnisse von Selbständigkeit, Freiheit, staatlicher Autonomie und wirtschaftlicher Unabhängigkeit auf der einen, Fortsetzung von Ausraubung, Unterdrückung und Ausbeutung, verpackt in die hohle Phrase aus zwingenden humanen Gründen notwendiger Erneuerung, auf der anderen Seite. Rechtlich bindende Knebelverträge bzw. scheinpartnerschaftliche Kooperationen erweisen sich seither folgerichtig als schamlose Betrugsmanöver. Sie verschärfen das Ausmaß der Ausschlachtung von Boden, Kulturpflanzen und Arbeitskräften im Vergleich zur Kolonialzeit weiter, (1) sie legalisieren und legitimieren den neuen Kolonialismus als gängiges Format des Umgangs des Nordens mit dem Süden, beseitigen ihn also keineswegs.

Imperialismus, dem Kolonialismus verwandt, aber durch die unverhohlene Integration militärischer Gewalt effektiver und ergiebiger – gleich doppelt, denn das Militär war immer auch ein wichtiger Wirtschafts- und Technologiefaktor –, wurde zum Mittel der Wahl zeitgenössischer neoliberaler Expansion, deren Folgen täglich zu besichtigen sind, als Katastrophen-Kapitalismus, dessen Schock-Strategien seit einigen Jahrzehnten unvorstellbare Verwüstungen auf dem Planeten Erde anrichten. (2) Zwar müssen auch in der "alten" und der "neuen" Welt die Verelendeten und Pauperisierten, egal ob ausgebeutet im Produktionsprozess oder als Reservearmee, um ihr Überleben kämpfen, aber ihre LeidensgenossInnen in den kolonisierten Gebieten, in den ausgelaugten Gegenden im Süden, haben nichts als ihr nacktes Leben, werden von ihren Ländereien vertrieben (3) und vielerorts als Sklaven bis zum letzten Atemzug ausgepresst. Wagen sie den Widerstandsmodus als letzten Akt des Kampfes um ihr Überleben, werden sie mit überlegener militärischer Gewalt und Taktik gemeuchelt, ganze Völker fast ausgerottet, wie die Nama und Herero durch deutsche Kolonisten. (4) In der jüngeren Vergangenheit setzen die Damen und Herren der Damen- und Herrenvölker ihre für sie fruchtbringende Tradition teilweise nahtlos fort, in Vietnam und Kambodscha, später Irak und Libyen, zuletzt vor allem Afghanistan mit seinen Vorkommen an wichtigen Bodenschätzen; teilweise aber schufen sie etwas - historisch gesehen - wahrscheinlich wirklich Innovatives: Blut- und Bodenpolitik, Mord und Totschlag unter dem Motto "Menschenrechte" und "Demokratie" als Lüge und Betrug in Wort, Bild und Tat, zugedeckt mit verbalen Rechtfertigungsorgien als methodischem Inventar, um ferne Gemeinwesen für die eigene Bereicherung und Machterweiterung zu zerschlagen. Ihre ausgeklügelten Kosten-Nutzen-Kalküle reichen bis in die gegenwärtige Asylpolitik: Wer ausbeutbar ist, darf kommen und bleiben, unnütze Esser oder nicht auspressbare Hilfesuchende werden als unerwünschte Eindringlinge deklariert und dürfen im Mittelmeer ersaufen oder in der Wüste verdursten, in libyschen Lagern gequält werden oder in Bosnien, Europa zum Greifen nahe vor sich, in Stacheldrahtzäunen verrecken.

Kolonialismus und Imperialismus werden als Ausraubungs- und Ausrottungsmaschinerien zur Sicherung der nord-westlichen Existenzgrundlagen erst vollends begreifbar, wenn ihre faustische Seele inspiziert wird: Der Rassismus, die Selbstgewissheit der BewohnerInnen im Norden, lebenswerter zu sein als die Menschen in südlichen Gefilden. In ihren Köpfen grassierte schon zur Zeit der so gar nicht unschuldigen Entdeckungsreisen ein exkulpierender rassistischer Bazillus, der die jahrhundertelange Barbarei, mit der die zivilisatorisch Selbstgerechten die vermeintlich rückständigen Völker auf der Südhalbkugel ausnutzten oder abschlachteten, bis heute legitim erscheinen lässt. Diese Spur der rassistischen Legitimation für jedes von nord-westlichen Übermenschen weltweit begangene Verbrechen ist in die Zeit des europäischen Aufbruchs in die Moderne zurück zu verfolgen. So gewaltig die Veränderung des Welt-, Gesellschafts- und Menschenbildes durch Kopernikus war, als er das geo- durch das heliozentrische Weltbild ersetzte, so penetrant pochten seine politisch und ökonomisch dominanten ZeitgenossInnen darauf, dass es durch ein eurozentrisches ergänzt wurde: Sie hatten sich im Zuge der nur vordergründig allumfassenden Aufklärung, die schon im Moment ihrer Geistwerdung gegenaufklärerisch verunstaltet wurde, (5) selbst zum wissenden und innovationsfähigen Anteil der Menschheit erklärt, dem es zustand, den in jeder Hinsicht beschränkten Anteil anderswo bedingungslos zu unterjochen. Ihre Logik war so einfach wie betörend, weil zirkelschlüssig: Wer über die Mittel verfügte, Menschen und Völker in anderen Teilen der Welt zu betrügen, zu bestehlen, sich untertan zu machen, gehörte zweifellos zur überlegenen Rasse, deren nautische und kriegerisch-militärische Fähigkeiten hinreichender Beleg dafür waren, dass nur sie mit Gold und Gewürzen, Kakao und Zuckerrohr, Baumwolle und Kaffee wirklich etwas Sinnvolles anfangen konnten. Getragen von der Dynamik des schon kapitalistisch angehauchten Selbstverständnisses, gab es in der beginnenden Neuzeit kaum Zweifel, dass Haben die Basis eines Daseins ist, dessen Sinn darin besteht, es in allen seinen vorhandenen und zu schaffenden Formen in extenso, also in genau genommen geradezu sinnloser Weise, zu akkumulieren – der Geldspeicher von Donald Duck ist als Sinnbild dieses Lebenszwecks von Millionären und Milliardären unübertroffen. Ein globaler Lebensrhythmus, in dem alle Menschen zufrieden mitschwingen, war dieser Krämer-Logik ein Gräuel, für die nord-westliche brandschatzende und räuberische Selbstüberschätzung war eine friedliche und gerechte Welt für alle ein sinnloses Hirngespinst.

Kant mit seinen Äußerungen zu den minderwertigen Rassen zu zitieren, wäre nicht mehr als ein Kalauer. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Überlegenheit der eigenen Lebensentwürfe und die Rechtmäßigkeit der Inbesitznahme fremden Eigentums in die gesellschaftliche Dynamik integriert wurde, machte nicht vor dem Kaufmann, nicht vor den adligen Herrschaften und nicht vor Wissenschaft und Philosophie halt. Diese krude Wahrheit ist nur von verbohrten Apologeten kolonialistischer und imperialistischer Barbarei zu bezweifeln. Die christliche Bigotterie, in Kombination mit den liberalen Grundsätzen, die das besitzende Bürgertum, besoffen von der Überzeugung der eigenen Unbesiegbarkeit, sich wissenschaftlich begründen und rechtlich fixieren ließ, (6) lieferten die scheinheiligen Rechtfertigungsmuster: Das Privateigentum an Grund und Boden, am produktiven Kapital und an den Mitteln zur Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse einerseits, die Privatisierung von Gewinnen aus der gesellschaftlichen Produktion und die Vergesellschaftung der Kosten bzw. Lasten – Infrastruktur usw., Verwaltung, Planung, Forschung andererseits – und schließlich die weltweiter politische und militärische Schutzfunktion für die Profiteure, waren im liberalen Denken und Handeln tief und unverrückbar verankert.(7)

Alltägliches rassistisches Selbstverständnis und Verhalten sind in fünfhundert Jahren europäischen Überlegenheitsdünkels wahrscheinlich ins Erbgut der weißen Rasse eingewandert, haben sich dort genetisch verankert – oder gibt es auch nur eine annähernd überzeugende oder plausible Begründung für die obszönen Formen der Ausbeutung von Abermillionen Menschen, für die Vertreibung von ihrem Grund und Boden, für das Leerfischen ihrer überlebenswichtigen Gewässer, für Kinderarbeit auf Kakaoplantagen und in T-Shirt-Fabriken, für verlogene Debatten über "faire Löhne" und "Sozialstandards", die im Vergleich zu den hiesigen Bedingungen nichts als herrische Demütigungen sind? Für den gesellschafts-politischen Umgang mit Flüchtlingen, mit Armen, mit Sklaven auf Plantagen, mit Frauen, mit Indigenen, spielt nicht die Hautfarbe die entscheidende Rolle, sondern die Missachtung von Menschen, die Gleichgültigkeit ihnen gegenüber, also eigentlich ihre Betrachtung als minderwertig - das rassistische Grundmuster, das allen Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnissen zugrunde liegt. Das rassistische Gen steckt in uns. (8) Sonst würden uns Bananen, Ananas und Steaks im Hals stecken bleiben und Hemden und Hosen würden uns die Haut verbrennen, weil wir das Blut, den Schweiß, die Verzweiflung und das Elend ihrer Produzenten spüren würden. Und wir würden begreifen, dass von dieser Menschenvernichtungslogik jene, die das fatale Pech haben, im sonnigen und so unermesslich reichen Süden geboren worden zu sein, gleich doppelt heimgesucht werden: Direkt über Vertreibung, Hunger und Verheerung ihrer Lebensräume, indirekt über die Folgen der Klimaveränderungen, die ihre Lebensgrundlagen verwüsten oder im Meer versinken lassen.

Ursprüngliche Akkumulation und Klimazerstörung

Die von den Eroberern an sich gerissenen Güter, Naturprodukte und Schätze des Bodens, der Wasser und der Fauna und Flora, bildeten den Grundstock der ursprünglichen Akkumulation, die, so Karl Marx, zu einer wichtigen materiellen Basis für die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsprozesse wurde. Wie immer Europa sich mit Beginn der Neuzeit und vor allem nach der französischen Revolution ohne sie entwickelt hätte, bleibt der kreativen Phantasie überlassen, aber ein materieller – und finanzieller – Grundstock für einen Akkumulationsprozess, der auf seinen qualitativen Sprung in die maschinelle Massenproduktion von Waren zielte, wäre ohne diesen Fundus nicht entstanden. Vielleicht haben irgendwelche ÖkonomInnen oder SoziologInnen Berechnungen über die geschätzte Höhe des Wertes der durch Raubzüge gewonnen Reichtümer angestellt, aber auch ohne "belastbare" Zahlen lässt sich aus dem vorhandenen Wissen über die Dynamik von wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und technologischer Entwicklung schlussfolgern, dass wir uns, ohne die rechtlose Konfiszierung fremden Eigentums, einen vergleichsweise abgemagerten Entwicklungsprozess vorstellen müssen. Die erste industrielle Revolution, das Heranwachsen der kapitalistischen Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse, ist weder zu erklären noch zu verstehen ohne den Lebens- und Blutzoll und die Enteignung von Abermillionen Menschen im Süden. Die Basis für einen qualitativen Sprung von der Hand- und mechanischen Fertigung von Gütern in Manufakturen zur Massenproduktion, aber auch für Technik, Wissenschaft und Kultur, waren naturgemäß zunächst die Ressourcen, die "vor der Haustür" lagen, etwa Erze und Kohle, in größerem Maßstab aber wurde mehr und mehr genutzt, was dem Rest der Menschheit entwendet werden konnte.

Die Ergebnisse der Forschungen zur Erderwärmung, wie sie auch in den Berichten der IPPC zusammengetragen worden sind (9), bestätigen diese These, denn sie weisen einen steilen Anstieg seit etwa 1850 nach, dem Beginn der Nutzung fossiler Brennstoffe, zunächst für die Eisen- und Stahlgewinnung, dann aber immer stärker für die Herstellung von anderen Metallen und Metallerzeugnissen, der massenhaften Produktion von Gütern, sowohl für den weiteren Ausbau von Industrie und Handwerk als auch für den Massen-Konsum. Einzelheiten dieses Prozesses, seiner ökonomischen Bedingungen und Dynamik und seiner politischen Rahmenbedingungen, sind von vielen Ökonomen und Soziologen aufgearbeitet worden, vor allem Marx & Engels haben mit ihren Schriften zum Verständnis der kapitalistischen Produktionslogik und ihrer sozialen und gesellschaftlichen Folgen beigetragen. Die Botschaft ihrer Analysen lautet, dass der "fette Import" von Roh- und Wertstoffen für die Klimaveränderung der letzten zweihundert Jahre essenziell ist. Im Überblick der ökonomischen Entwicklung der letzten Jahrhunderte, insbesondere der Zeit seit Mitte des 19. Jahrhunderts und der letzten Jahrzehnte, lässt sich eine sicherlich empirisch belegbare Korrelation feststellen zwischen der Belastung des Klimas durch Treibhausgase und chemische Gifte einerseits und der Verschärfung kolonialistischer und imperialistischer Ausbeutung und Ausraubung andererseits. (10) Gäbe es diese ungleichgewichtigen Verhältnisse zwischen Menschen, Völkern und Kontinenten nicht, fänden zweifellos, wie immer seit Bestehen des Blauen Planeten, klimatische Veränderungen statt, wie sie sich aus dem natürlichen Zusammenspiel der Kräfte, die auf ihm wirken, ergeben: Schwankende Sonnenaktivität, natürliche Erhöhung oder Senkung der CO2-Konzentration durch die Dynamik der ozeanischen Wassermassen, der Atmosphäre und ihrer Temperaturschwankungen, durch Erdrotation, Erdbeben, Waldbrände durch Blitzeinschlag, tektonische Verschiebungen der Erdmassen und Vulkanausbrüche und sicherlich noch durch viele andere Faktoren und ihr Zusammenwirken. Aber einen Klimakollaps, wie er sich seit einhundertundfünfzig Jahren abzeichnet, seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts definitiv nachweisbar ist und seit Beginn des 21. Jahrhunderts für immer mehr Menschen unmittelbar spürbar wird, hätte es ohne den fünfhundertjährigen ökonomischen, politischen, ideologischen Krieg des Nordens gegen den Süden, der Jagd von Menschen nach Reichtümern und Leben vieler anderer Menschen, mit realistischer Wahrscheinlichkeit nicht gegeben.

Belege und Begründungen für diese Annahme haben Karl Marx und Friedrich Engels, Wladimir I. Lenin, Frantz Fanon, Aimé Césaire, Eduardo Galeano (11) und tausend andere wissenschafts-politische Autoren akribisch zusammengetragen, empirisch werden sie tagtäglich erfahrbar durch die Folgen der globalen Verordnung neoliberaler Profitgenerierung als Grundlage des Verkehrs der Menschen miteinander. Aus der militärisch gesicherten Herrschaft einiger mächtiger, global agierender politisch-ökonomischer Assoziationen über die große Mehrheit, die als Arbeitsware mit mehr oder weniger Gewalt rekrutiert oder als nützliche Idioten (12) gekauft, bis zur Erschöpfung ausgebeutet oder indirekt oder direkt vom Leben zum Tode befördert werden, resultieren nicht nur deren privater Reichtum, profitables Wachstum, technologische Durchdringung aller Lebensbereiche und ungebremster Konsum, sondern, als ihr janusköpfiges Schreckensantlitz, der drohende Zusammenbruch der über Jahrmillionen gewachsenen und, wie die bisherige Bewohnbarkeit des Planeten beweist, funktionierenden klimatischen Systeme.

Das klimabezogene Fazit lautet: Rassistisch motivierte, kolonialistisch und imperialistisch organisierte Raubzüge liegen dem sogenannten "Fortschritt" des nord-westlichen Imperiums zugrunde, keine noch so kleine produktive, technologische, kulturelle Bewegung vollzieht sich ohne Rückgriff auf Diebesgut, dem wir, hier und heute und jeder einzelne, unseren zusammengeklauten Wohlstand verdanken. Kolonialismus, Imperialismus und Rassismus (13) sind unmittelbarer Ausdruck der Unterwerfungs- und Vernichtungslogik, nach der Europa und Nordamerika seit fünfhundert Jahren funktionieren, sie garantieren nahezu alle – ideellen und materiellen – Lebensgrundlagen im Norden des irdischen Planeten. Sie bilden gemeinsam das Gerüst der Klima-Zerstörungs-Konstante, deren Vorhandensein so selbstverständlich für unseren Alltag, unser Fühlen und Denken und Handeln ist, dass sie nicht böswillig oder vorsätzlich, sondern einfach so übersehen, überhört, vernachlässigt wird. (14)

Die Klima-Zerstörungs-Konstante (KZK) - ein gestörtes Beziehungsgeflecht

Erde in HandWeil wir unsere Beziehungen zu den Menschen südlich unseres Vorstellungsvermögens von einer hochmütigen und aggressiv-diebischen Warte her definieren, tragen wir jeden Tag zu ihrem, aber auch zu unserem Untergang bei, solange wir diese so einfältige wie selbstzerstörerische Basis unseres eigenen Lebens nicht begreifen – und verändern. Alle Untersuchungen zu den Klimaveränderungen der letzten Jahrhunderte bleiben, bei aller empirischen und theoretischen Akribie, ohne Berücksichtigung der Variable "menschliche Beziehungen" als ursächliche und weiter wirkende Triebkraft der Klima-Zerstörungs-Konstante, vordergründig; ohne sie in den Fokus zu rücken, wird das notwendige globale Gegensteuern keinen Erfolg haben. Auch ein systemischer Ansatz zum Verständnis der beteiligten Prozesse, ihrer Ursachen, Bedingungen und Folgen, wird zunächst einmal auf die nachweisbaren naturnahen Variablen zurückgreifen, die durch menschliche Eingriffe, speziell durch den dramatischen Anstieg von Treibhausgasen in der Atmosphäre, aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Der Mensch als verantwortlich für die "menschengemachten Klimaveränderungen" ist eine unverzichtbare Größe in allen Berechnungen, er ist keineswegs nur passives Opfer natürlicher Ereignisse - wie jetzt aktuell die Flutopfer, die Opfer der Feuerwalzen in Griechenland und der Türkei usw. usw. nahelegen -, sondern er zerstört seine eigenen Lebensgrundlagen. Aber es denkt, fühlt und handelt eben nicht "der Mensch" als individuelle Monade, sondern substanziell sind die seit Jahrtausenden, vor allem aber seit einigen Jahrhunderten gewachsenen und gewordenen globalen Beziehungsmuster zwischen Menschen: Sie sind nicht nur die Lösung des "Klima-Rätsels ", sondern ohne Rückgriff auf sie sind die kleinsten klimatischen Veränderungen, ist selbst das Aussterben einer einzigen Libellenart nicht wirklich aufzuklären und aufzuhalten.

Die wichtigsten materiellen, gesellschaftlichen und ideologischen Grundlagen, die den technischen und technologischen wie den dynamischen Fortschritten von Produktion und Konsumtion zugrunde liegen, sind unserem kolonialistischen, imperialistischen, rassistischen Umgang mit dem Rest der Welt zu verdanken: Er ist das Produkt des von uns gesteuerten, zutiefst gestörten Beziehungsgefüges zwischen den Bewohnerinnen des Erdballs, das Skelett der Klima-Zerstörungs-Konstante, deren wichtigste Variablen wie folgt zusammengefasst werden können (komprimiert und ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

  • Raub von Bodenschätzen und Über-Bodenschätzen, von Land und Erfahrungswissen
  • exzessive Nutzung, also Ausbeutung, von natürlichem und menschlichem Material
  • kriegerische Gewalt als Mittel von Raub und Ausbeutung
  • Zerstörung und Raub von kulturellen Reichtümern (einschließlich Sprache und Geschichte), Lebensformen und akkumuliertem Erfahrungswissen
  • ideologische Okkupation in globalem Ausmaß durch liberale und humane Pseudowerte
  • tief verankerte, über viele Generationen gewachsene rassistische Grundhaltung
  • Externalisierung der produktiven und konsumtiven Verdauungsprodukte, also Abladen der Exkremente sie Schadstoffe, Müll und Schrott aller Art.

Noch einmal dem Nachdenken – und vielleicht, es geht um Beziehungen zwischen Subjekten, die gattungsmäßig nichts voneinander unterscheidet als ihre individuelle Besonderheit, den Gefühlen – nahegebracht: Diesem Horrorszenario verdanken Produktion und Konsumtion, jedwede Innovationen und luxuriöser Überfluss, ihre Existenz, diese Einstellungen und Verhaltensweisen haben sich im Laufe der Jahrhunderte in die Klima-Zerstörungs-Konstante verwandelt, sie bilden die Rahmenbedingungen für die Unwucht der klimatischen Prozesse, die heute der Menschheit - neben den Atomwaffen - zur größten Bedrohung geworden ist. Ein Klimaveränderungs-Modell, das sie berücksichtigt, bewegt sich auf drei Ebenen der globalen Funktionszusammenhänge, die das klimatische Gleichgewicht bedrohen (klimaspezifische Parameter, die den bekannten Modellen immanent sind, werden vorausgesetzt):

Ebene I – Klimaschädliche Energiebilanz

Energieträger:
Fossile Brennstoffe – Öl, Gas, Kohle; Methan (Permaboden)Energieverwertung:
Produktionsprozesse Lokomotion (Kraftfahrzeuge, Flugzeuge, Transport- und Freizeitschiffe ; WärmeSubjekte:
Produktionsmittelbesitzer, Produzenten, Händler; Fahrer, Passagiere, Urlauber, Wohnungsnutzer, Konsumenten

Ebene II – Klimabelastende Rohstoff- und Produktionsbilanz

Rohstoffgewinnung:
Bergung (Öl, Braunkohle, Gas; Seltene Erden, Lithium, Mangan usw.); Anbau (Zuckerrohr, Kakao, Kaffee, Palmöl, Baumwolle, Tierfutter usw.)Rohstofftransport:
Schiffe, Flugzeuge, LastkraftwagenProduktion:
Luft- und Bodenbelastung; Landwirtschaft (Pestizide, Monokulturen, Gülle und Antibiotika) Gen-Manipulation, Entwaldung), Patentierung von Leben

Ebene III – Soziale Bilanz der Klimazerstörung

Externe Produktion, Bergung:
Ausbeutung, Versklavung und Verbreitung, Zerstörung von Natur Produktion und Handel zu Billigstpreisen

Warentransport:
Hungerlöhne und zerstörerische Arbeitsbedingungen für Schiffsbesatzungen und Kraftfahrer

Produktionsorte:
Länder südlich des Hungeräquators, Vernichtung von Natur, Kultur und Leben

Produzenten:
Kinder, verarmte und verelendete Menschen, Sklaven

Bedingungen von Produktion, Handel und Rohstoffgewinnung:
Minimallöhne, unbegrenzte Arbeitszeiten, zerstörerische Arbeitsbedingungen, Rechtlosigkeit, asoziale Lebensbedingungen

Humane, Soziale Kosten:
Flucht von vielen Millionen Menschen vor Hunger und Gewalt, gewollter, gesetzlich verordneter Tod von Zehntausenden bei ihrer Suche nach Zukunft (15)

Dieses Modell unterscheidet sich von allen anderen dadurch, dass es die interaktiven Prozesse innerhalb der natürlichen und menschengemachten Kreisläufe, also die weltumspannenden sozialen Beziehungen, mit den übrigen hinlänglich bekannten Ursachen der Klimaveränderung verbindet. Die Geschichte der klimatischen Störungsdynamik wird auf die Ebene der Beziehungen zwischen den Menschen auf dem Erdenrund herunter gebrochen. Die werden in den letzten Jahren zwar offener und häufiger diskutiert, ihre wirklich Brisanz auch für die BewohnerInnen der Nordhalbkugel gelangt aber nicht in das Bewusstsein öffentlicher, geschweige denn politischer und ökonomischer Debatten. Nur selten finden sich Gedanken, Texte, gar Diskussionszusammenhänge, in denen der soziale Kern der klimatischen Bedrohungen thematisiert wird: Die so banale wie grausige Tatsache, dass der nord-westliche Habitus kolonialistisch fundiert, imperialistisch abgesichert und rassistisch getragen ist. Die fundamentalen, die originären Grundlagen für das, was sich heute zur Klimakatastrophe ausgeweitet hat, die der Ebene III zugehörigen Bedingungen der ausschließlich den nord-westlichen Interessen dienenden globalen ökonomischen Invasion, werden bis heute weder systematisch hinterfragt noch mit Erderwärmung und Artensterben in Verbindung gebracht. Kurz und knapp gesagt: Ausbeutung, Ausraubung und Verwüstung der südlichen durch die politisch-ökonomischen Eliten der nördlichen Hemisphäre haben der Klimazerstörung nicht nur ihr "Material" geliefert, sondern sind ihre "Nahrung" gewesen – und sind es nach wie vor.

Weltklimarat und Weltsozialrat – Strategie eines geo-politischen Klima-Modells

Vollständige und perspektivisch hoffnungsvolle Klimamodelle müssten auf die Ebene III als das substanzielle Quellgebiet der klimatischen Veränderungen verweisen, sich also an den globalen menschlichen Beziehungen orientieren. Die aus ihnen ableitbaren Empfehlungen oder Forderungen an die politisch und ökonomisch Verantwortlichen auf allen Kontinenten müssten fraglos zunächst einmal konsequent auf die Notwendigkeit des radikalen und möglichst sofortigen Ausstiegs aus der fossilen Energiegewinnung, gewissermaßen als lebensrettende Notoperation, abstellen: auf die zeitnahe Umstellung der Agrarwirtschaft auf natürliche Kreisläufe und Tierwohlorientierung, auf das sofortige Verbot der weiteren Vernichtung der Regenwälder. Nicht weniger entschlossen aber müsste auf die Klima-Zerstörungs-Konstante, wie sie in der Ebene III skizziert worden ist, zugegriffen werden. In ihr ist ein geo-politischen Klimamodell angelegt, das nicht den engen Zusammenhang ökonomischer und ökologischer Kreisläufe problematisiert, sondern ein kompaktes soziales Umschwenken verlangt. Dazu müssen die Imponderabilien von Ebene III in den Fokus wissenschaftlichen Untersuchungen zur Klimaveränderung und an ihr orientierter politischer Handlungsmuster geraten, was an den taktischen Empfehlungen zum Klimaschutz wahrscheinlich wenig verändern wird, an dem etwa, was im Bericht des IPPC nachzulesen ist. Neben der taktischen aber gäbe es, und zwar an hervorgehobener Stelle in Berichten und Handlungsoptionen und allen zukunftsorientierten Überlegungen vorgeschaltet, dezidierte Ausführungen zu einer Strategie gegen die Klimakatastrophe, die auf eine rigorose Beendigung der gestörten Beziehungsdynamiken zwischen Nord und Süd zielt, gefüttert von dem Wissen um den Zusammenhang zwischen Umweltzerstörung und Ausbeutung. Deren Präambel könnte in etwa so lauten:

"Es gibt nur eine realistische Chance, die Klimazerstörung nicht nur abzubremsen, sondern zu stoppen, und die besteht in einem abrupten Ende der Ausraubung, Ausbeutung und Zerstörung auf der Südhalbkugel." Die Begründung wäre schlicht und einfach: "Nur ein Handel auf Augenhöhe und in gegenseitigem Respekt kann die Rohstoffe und Waren so sehr verteuern und verknappen, dass jedes 'Weiterso', jede Fortführung der scheinbar selbstverständlichen Produktions- und eingeschliffenen Konsumgewohnheiten, ausgeschlossen ist. Zu dieser Geschäftsgrundlage gehört, dass den Menschen in den Ländern im Süden und Osten des Globus Arbeitsbedingungen, soziale Standards, Gehälter und Löhne, Arbeitszeiten und Rechte wie Gründung von Gewerkschaften und Betriebsräten, zustehen, die denen in den sog. Industrieländern vergleichbar sind, verbunden mit einem absoluten Verbot von Kinderarbeit. Die fest verankerten Vorstellungen von den singulären Rechten der BewohnerInnen des Nord-Westens müssen durch uneingeschränkte Gleichbehandlung und Gleichberechtigung ersetzt werden."

Der Weltklimarat würde, in aller Bescheidenheit, zugestehen, dass er zwar die Strategie, die ohne "Wenn und Aber" umgesetzt werden müssen, benennen könne, die dort versammelten ExpertInnen aber für die Fragen und Konsequenzen, die sich aus ihr ergeben, keine hinreichende Expertise haben. Deshalb würden sie, ergänzend zum Weltklimarat, die Einrichtung eines gleichrangigen Weltsozialrates vorschlagen, der Entwürfe und Modelle für die Umsetzung dieser Strategie erarbeitet. (16) Beide Gremien gemeinsam entwickeln aus der Zusammenschau der taktischen und der strategischen Entwürfe ein globales Konzept, sowohl für das Ausbremsen der Klimazerstörung als auch für die Beendigung der globalen sozialen Verwerfungen bzw. Ungerechtigkeiten. Konkret bezogen auf die Ebene III würde der Weltsozialrat diese strategische Notwendigkeit zur Rettung der Erde als für Menschen auch zukünftig bewohnbarer Planet in die folgenden, unmittelbar umzusetzenden Maßnahmen münden lassen:

Rohstoffgewinnung:
Die Bergung von Rohstoffen aus den Böden nutzt die vorhandenen technischen und technologischen Möglichkeiten , deren Kosten vertraglich so geregelt werden, dass Eigner der Böden und Interessenten an Mineralien usw. gleichermaßen beteiligt, also besitzend sind. Die Bedingungen, unter denen Arbeitskräfte beschäftigt werden, berücksichtigen Löhne, die eine medizinisch, psychisch und sozial definierte Regeneration ermöglichen, Arbeitszeiten, die den Standards in den nord-westlichen Ländern entsprechen, und Arbeitsschutz, der die Gesundheit der Beschäftigten vor jeder anderen Variable priorisiert. Ein Verkauf von Land an Nichteinheimische ist ausgeschlossen, vorhandene oder vermutete Bodenschätze werden nur in dem Umfang veräußert, der den Interessen und dem Nutzen der einheimischen Bevölkerungen dient. Preise werden von den Eignern bestimmt oder zwischen ihnen und Interessenten ausgehandelt. Eigner ist grundsätzlich die ganze Bevölkerung eines Landes oder Staates, die Verhandlungskommissionen bildet, in denen ein Querschnitt der Bevölkerung vertreten ist. Diese Regelungen gelten auch für Rohstoffe, die überirdisch entstehen, als Früchte aus Plantagen oder Wäldern. Alle anderslautenden Abmachungen, zwischen wem immer, und Besitzurkunden über Ländereien, die auswärtige Käufer sich in der Vergangenheit angeeignet haben, sind hinfällig, weil sie der Strategie des Weltsozialrates bzw. den Interessen und Bedürfnissen der einheimischen Bevölkerungen widersprechen.

Produktion: Grundsätzlich gleiche Bedingungen gelten für alle Produktionsbereiche in den süd-östlichen (17) Ländern. Tarifverträge sind fraglos und werden nach dem Muster derjenigen abgeschlossen, die auch im Nord-Westen gelten. Die Zustände in allen Produktionsstätten oder auf Plantagen werden von Kommissionen kontrolliert, die paritätisch vom jeweiligen Produktionsland und dem Land, in das die hergestellten oder geernteten Waren geliefert werden, besetzt werden. Die für die Produktion benötigten Maschinen, Werkzeuge, Rohstoffe und Infrastruktur bleiben im Besitz der jeweiligen Länder, können unter besonderen Bedingungen nach gesetzlich fixierten bzw. ausgehandelten Regeln verpachtet werden.

Produkttransport: Für den Transport aus Ländern, in denen produziert wird, in Länder, zumeist im Nord-Westen, in denen die Produkte verkauft werden, gelten die finanziellen, sozialen und rechtlichen Standards, die global für LKW-FahrerInnen und andere Transportberufe, festgelegt worden sind. Arbeits- und Lebensbedingungen auf Schiffen, Freizeitregelungen, Entlohnung, Unterbringung, Erschwerniszulagen sorgen dafür, dass Schiffe unter "Billigflaggen" wegfallen, weil die Bedingungen ihres Einsatzes einander angepasst sind, unabhängig davon, wer die Schiffe besitzt. Ähnlich gilt für LKW-Flotten, dass deren FahrerInnen nicht länger bis zur absoluten Erschöpfung oder bis zum Unfalltod schuften müssen, sondern durch Arbeitszeit- und Regenerationsregelungen geschützt sind, die Gesundheitsgefährdungen ausschließen.

Produktionsorte: Grundsätzlich wird die Produktion in Ländern südlich des Wohlstandsäquators nicht gefördert, aber auch nicht untersagt. Sie wird ihre Attraktivität verlieren, weil die abgeschaffte Ausbeutung keine Gewinnspannen und Extraprofite mehr ermöglicht, die es lohnen, in Bangladesh, Vietnam oder Indonesien zu produzieren. Dennoch können bestimmte Waren oder Produkte, die jeweils landes- oder regionenspezifisch sind, weiterhin dort hergestellt und exportiert werden, aber zu den oben genannten Bedingungen. So werden sie künftig die Wertschätzung erfahren, die in der Bezeichnung "exotische Früchte" noch konnotativ enthalten war. Selbstverständlich und massenhaft verfügbar und zu Schleuderpreisen verkauft wird es sie nicht länger geben. Unter diesen Voraussetzungen entsteht zwangsläufig ein wesentliches "Abfallprodukt" für den Schutz des Klimas: Regionalisierung von Produktion und Ernährung machen weite Transportwege, die viel Energie, Lebenszeit und Belastungen für Menschen kosten, überflüssig.

Produzenten:
Zusammengefasst verlangt der Weltsozialrat, dass globale Bedingungen geschaffen werden, die für alle Menschen in allen Ländern, auf allen Kontinenten, vergleichbare Lebens- und Arbeitsbedingungen gewährleisten. Billiglöhne, zerstörerische Arbeitsbedingungen, Vertreibung von Grund und Boden oder aus angestammten Regionen, Sklaven- und Kinderarbeit gehören weltweit der Vergangenheit an. (18)

Im Rahmen der UNO werden für die Umsetzung dieser Regeln Gremien geschaffen, die Kontroll- und Sanktionsbefugnisse haben. Weltklimarat und Weltsozialrat werden von der UNO eingerichtet, sind dieser rechenschaftspflichtig und erhalten von ihr die notwendigen Aufträge. Der Sicherheitsrat der UNO definiert seine Aufgaben neu bzw. ergänzt sie: Zu seinen Aufgaben gehört künftig, die existenzielle Sicherheit der Menschen in den Ländern bzw. Staaten, die der UNO angehören, zu garantieren. Neben den Blauhelmen, deren Einsätze weiterhin notwendig sein könnten, aber in eingeschränktem Umfang, weil der wichtigste Kriegsgrund, Überfälle und Okkupation von Gegenden, aus denen Ressourcen aller Art mit Gewalt angeeignet werden, wegfällt, setzt die UNO ein „Grünhelm“-Kontingent ein, das die Einhaltung der Regeln, die vom Weltklimarat definiert werden, begleitet, wenn sich dieser Einsatz als notwendig erweisen sollte. Sowohl die Blauhelme als auch die Grünhelme haben keine militärischen Aufträge, sondern sollen Rechtssicherheit herstellen, deren letztlicher Garant ein Internationaler Gerichtshof ist, der nicht nur kriegerische, sondern auch ausbeuterische Zustände ahnden kann. Weltklimarat und Weltsozialrat ersetzen den IWF und die Weltbank, deren Wirken Macht im Norden und Ohnmacht im Süden über Jahrzehnte hin intensiviert und verfestigt hat.

Klima-politische Vision - rückwärts, vorwärts

Auch wenn es müßig erscheint, historische Entwicklungsprozesse spekulativ zu beäugen, ist es reizvoll, mit den Ingredienzen des geo-politischen Klimamodells und der Idee des Weltklimarats im Hinterkopf, in den Weiten der Phantasie umherzuschweifen, um sich auszumalen, was wäre, wenn… Nehmen wir an, die Europäer der anbrechenden Neuzeit wären sich ihrer eigenen geistigen, seelischen und körperlichen Kräfte bewusst gewesen, hätten aus ihnen eine lebenswerte Zukunft gestaltet, hätten, was ihre Altvorderen aufgebaut, geschaffen und zusammengetragen hatten, dialektisch aufgehoben, also das Nutzlose dem geschichtlichen Abfalleimer übergeben, das Brauchbare kreativ verwendet: Europa und Nordamerika würden heute anders aussehen. Vielleicht wäre der Verbrennungsmotor gar nicht erfunden worden, hätte die Dampfmaschine als Muster der schadstoffarmen Krafterzeugung eine Weiterentwicklung erfahren, wie wir sie heute mit Mikrochips bzw. Halbleitern erleben: immer kleiner, immer leistungsfähiger, immer effektiver. Vielleicht hätten sich Formen des menschlichen und des Zusammenlebens mit der Natur entwickelt, in denen kollektive und damit für alle verbindliche Regeln beschlossen worden wären, die sich am Wohlergehen der humanen, tierischen und pflanzlichen Lebewesen und nicht am größtmöglichen Profit orientieren, den Einzelne erzielen. Vielleicht wäre die scheinbar naturgegebene Herrschaft des Privateigentums den Menschen im Vergleich zum allen verfügbaren Gemeineigentum geradezu lächerlich erschienen, (19) wären sozialer Ausgleich, faire Bezahlung von Arbeit - und der gemeinsame Besitz des produktiven Kapitals und seiner Erträge - zu selbstverständlichen Denk- und Handlungsformen geworden. Europa wäre noch heute eine Art Paradies auf Erden, in dem religiöse Versprechen eines besseren Jenseits nur verständnisloses Kopfschütteln hervorgerufen hätten. Alle EuropäerInnen gemeinsam hätten einen friedlichen Kontinent geschaffen, in dem zufriedene Menschen leben, deren umfassende Bildung, kulturelle Vielfalt und soziale Ausgeglichenheit Kriege unnötig und revolutionäre Ideen überflüssig machen würden.

Als FranzösInnen und EngländerInnen in Nordamerika einwanderten, brachten sie nicht nur ihren Wunsch nach einer neuen Heimat und ihre technischen und militärischen Fähigkeiten und Ausstattungen mit, sondern, viel wichtiger als das technische Gedöns, ihre über Jahrhunderte gewachsene Überzeugung, zum zivilisierten Teil der Menschheit zu gehören, der den indigenen LendenschurzträgerInnen und SkalpjägerInnen in jeder Hinsicht überlegen sei. Stellen wir uns stattdessen vor, die Weiten der Prärie wären heute noch geprägt von friedlichem Zusammenleben büffeljagender Indianerstämme und europäischer Einwanderer, die sich gegenseitig an ihren jeweiligen Erfahrungen, Fähigkeiten und Kompetenzen teilhaben ließen; die "Weißen" hätten ihren Landbesitz den "Roten" zu fairen Preisen abgekauft oder über Pachtverträge zur Verfügung gestellt bekommen, oder sie hätten gar über Partnerschaften Grund und Boden gemeinsam genutzt. Stellen wir uns EuropäerInnen und NordamerikanerInnen vor, die sich auf dem nordamerikanischen Kontinent und überall auf dem Globus mit respektvoller Neugier den dort lebenden Völkern angenähert und darauf verzichtet hätten, die vermeintlichen Segnungen des Christentums und des Kapitalismus mit angeblich gottgewollter brutaler Gewalt in Köpfe und Herzen der Menschen und in die unschuldigen Landschaften einzubrennen: Sie hätten, was ihre Nachkommen heute von jedem Flüchtling, dessen Sehnsuchtsort Europa oder Nordamerika ist, verlangen, schon vor drei, vier, fünfhundert Jahren praktiziert, nämlich sich den gegebenen Umständen anzupassen. Ihren eigenen Reichtum an praktischen Fähigkeiten und angesammeltem Wissen hätten sie in aller Bescheidenheit den dort lebenden Menschen als Gastgeschenke angeboten und zur Verfügung gestellt. Die Vorstellungen, es gäbe ein natürliches Recht der Eindringlinge auf Land- und Güterraub und die Ausrottung oder Versklavung der eingeborenen Völker, hätten allenfalls in Märchenstunden zu allgemeiner Heiterkeit geführt.

Es ist davon auszugehen, dass ein bedrohlicher Klimawandel, eine dramatische Klimaveränderung, gar eine Klimakatastrophe der Menschheit erspart geblieben wäre, wenn die natürlichen Bedingungen, die auf den einzelnen Kontinenten herrschten, den jeweils dort lebenden Menschen uneingeschränkt zur Verfügung gestanden und von ihnen hätten genutzt werden können. Warentausch, regionaler und globaler Handel "auf Augenhöhe", gegenseitige wissenschaftliche, kulturelle und technische Bereicherung hätten Synergien auf allen Seiten freisetzen, aus ihnen hätten Anregungen und Materialien für eine vielfältige, reichhaltige, unerschöpfliche Weltkultur resultieren können. Ästhetische Eigenheiten und erfahrungswissenschaftliche Weisheit wären nicht von Eroberern und Banausen unwiederbringlich zerstört, sie wären gemeinsam genutzt und weiterentwickelt worden, um etwa Krankheiten zu besiegen, Schutz vor Naturgewalten zu schaffen und die Freude am Leben zu teilen. (20) Es bereitet wenig Mühe, sich vorzustellen, dass ein so simples wie beschützendes humanes Prinzip der Prävention Einzug in die Interaktion und Kommunikation der Menschen gehalten hätte. Die besondere, von der nord-westlichen in vielerlei Hinsicht verschiedene Klugheit der eingeborenen Völker, hätte sich in Wachsamkeit und Vorsicht gegenüber den Angeboten der Besucher, die von jenseits der Meere kamen und kommen, gegenüber ihren Waren, ihren Gepflogenheiten und ihren Umgangsformen, geäußert. Mithilfe dieser gesunden, selbstschützenden Zurückhaltung hätten sie nicht nur auf Kompatibilität mit den eigenen Lebensvorstellungen, sondern auch auf Schädlichkeit für die eigene Gesundheit und das eigene Wohlbefinden geachtet. Schon der kleinste Verdacht auf chemische oder biologische Verseuchung von Körpern, Böden, Atemluft und Kleidung, hätte ganz praktisch zu Zurückweisung und Bitten um Veränderung geführt. So wäre ein interaktives Prinzip der Nachweispflicht zu einer globalen Regel, die dem Schutz aller Menschen dient, ausgehandelt worden: Wer etwas produziert und anbietet, muss, bevor es genutzt werden darf, seine Unschädlichkeit für Gesundheit und Umwelt belegen können. Die der Profitmaximierung geschuldete Regel, der gemäß jemand, der geschädigt wurde, nachweisen muss, dass dieses Produkt oder jener Stoff den Schaden verursacht hat, wäre allen Beteiligen als absurdes, weil menschenfeindliches Monster erschienen, mit einschneidenden Folgen: Körperliche und psychische Unversehrtheit und Schutz des Lebens hätten für Produktions- und Kontrollprozesse sowie für Handelsbeziehungen oberste Priorität gehabt.

Nicht nur ein von Menschen hier und dort zu ihrem eigenen Schutz und Wohlbefinden ausgehandeltes Regelwerk hätte eine andere, eine klimafreundliche, eine Menschen und Natur beschützende Welt entstehen lassen. "Was wäre gewesen wenn" hat viel zu tun mit "könnte sein". Eine solche Phantasiereise regt zu Antworten auf die lebenswichtige Frage an, welche Möglichkeiten der Veränderung wirklich werden könnten, welche schlicht notwendig sind. Die offenen Formen des Miteinander, die respektvollen Einstellungen und Haltungen allen anderen Menschen gegenüber, die Neugier und der Wissensdurst als Motive für die Begegnungen mit anderen Völkern machen diese Phantasiereise zu einem Trip in eine lebenswerte Zukunft überall. Sie bedeuten das Ende kolonialistischer Träume, imperialistischer Gewaltorgien und rassistischer Niedertracht. Die Gewissheit, dass friedliches, gerechtes und gleichberechtigtes Zusammenleben mit den Menschen im Süden und im fernen Osten ein gewinnbringendes Geben und Nehmen ist oder, im soziologische Slang gesagt, eine Win-win-Beziehung, wird sich bei vielen Menschen vielleicht nicht rasant, aber, so lautet die Hoffnung, mit Gewissheit einstellen: Keine Klimazerstörung mit jährlich auch hierzulande für viele Menschen bedrohlicher werdenden Folgen im Tausch gegen T-Shirts, Ananas und Rindfleisch, die nur noch eingeschränkt und teuer zu haben sind. Damit öffnen sie sich der realistischen Utopie einer Welt, in der ihre eigenen Entwürfe für die Zeit nach der "großen Umkehr" hinreichend viel Platz haben.

Und die Klima-Wissenschaft?

Seit mehr als fünfzig Jahren warnen Wissenschaftler kompakt und öffentlichkeitswirksam vor der Klimakatastrophe. Sie stellen Diagnosen über den Zustand des Globus, über seine Zukunft und die der auf ihm existierenden Lebewesen, und sie machen konkrete Vorschläge für die erforderlichen therapeutischen Maßnahmen, die den Planeten einschließlich seiner pflanzlichen, tierischen und humanen BewohnerInnen, vielleicht retten könnten. Die Gründung des Club of Rome 1968 und sein erster Klimabericht von 1972 waren so etwas wie der erste Warnschuss nicht nur an die verantwortlichen PolitikerInnen und Konzernmanager, sondern an all die Menschen, deren Energie- und Ressourcenverbrauch Weltklima und globale Gesundheit gefährden. Die TeilnehmerInnen der ersten Weltklimakonferenz 1979 bündelten viele Forschungsergebnisse, sie fassten über Jahrzehnte hin gewonnene Erkenntnisse über Klimawandel, Klimakrise, Klimakatastrophe zusammen, ergänzt durch neuere und neueste Erkenntnisse, die von der ökonomischen Logik der industriellen Produktion und ihren Folgen geradezu aufdrängt wurden, vor allem von der Dominanz fossiler Brennstoffe. Das kompakte gesammelte Wissen wurde zu einer epochalen Warnung an die Weltgesellschaft verdichtet.

Diese Konferenz hätte vielleicht den schon damals notwendigen entscheidenden Impuls für eine globale Zäsur setzen können, ja müssen. Die 1979 erarbeitete Agenda einer unverzichtbaren Reduzierung von Treibhausgasen war wissenschaftlich so stichhaltig begründet, dass sie in den nachfolgenden Jahrzehnten zur Forschungs- und Handlungsgrundlage der meisten einschlägigen wissenschaftlichen Institutionen und Organisationen wurde, die immer überzeugender den drohenden Klimakollaps belegen konnten. Rein rechnerisch hatten sie eine Gleichung mit vielen Unbekannten zu lösen , viele Größen sind inzwischen mehr oder weniger exakt vermessen, manche noch nicht so ganz im Griff, andere können als Konstanten gelten. Auf empirisch solider Grundlage haben 14.000 Wissenschaftler im August 2021 noch einmal nachdrücklich bei den politisch Verantwortlichen angemahnt, die globalen Veränderungen des Klimas ernst zu nehmen und ohne weitere Zeitverzögerung gegenzusteuern, nur so sei die große Katastrophe noch abzuwenden, für die es viele Szenarien gibt, die nicht nur verheerend klingen, sondern es sind, wie die jüngsten Ereignisse auf allen Kontinenten zeigen. Differenzierte Klimamodelle von einschlägigen Forschungsinstituten und viele aktive ForscherInnen liefern fundierte Erkenntnisse aus ihren je spezifischen Bereichen, die sich zu einem Gesamtbild ergänzen, das allen , deren Gehirne noch nicht von Pestiziden durchseucht oder durch Sauerstoffmangel geschrumpft sind, Sorgen bereitet. Ihre Analysen und Prognosen jagen vielen Menschen Schauer über den Rücken, weil sie verstehen, dass sie auf einem Vulkan tanzen, der schon Feuer zu spucken beginnt.

Ihr Erfolg ist dennoch, über die Jahrzehnte hin gesehen, gering, das ernüchternde Resümee von mehr als fünfzig Jahren Klimaforschung und Appellen, in denen immer mehr Wissen über Klimaveränderung und ihre Ursachen angehäuft wurde, lautet, dass kaum Veränderungen in Form von rigorosen, also wirksamen Gegenmaßnahmen stattgefunden haben. Vielleicht könnte das Jahr 2021 mit seinen über die Welt verstreuten Katastrophen der Beginn eines Umdenkens und -handelns werden, aber die Chancen stehen, gemessen an den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte und aktuell der faktischen Ignoranz, die sich, trotz manch anderslautender Parolen, durch alle Parteien und Medien zieht, schlecht. (21) Diese platte, weil stereotype Bilanz kann man hören, lesen, sehen, wo und wie immer man in die Debatte über Klimawandel, Klimaveränderungen, Klimakatastrophe usw. einsteigt. Alle Erkenntnisse und Einsichten stimmen irgendwie, und doch fehlen den noch so fundierten Forschungen, bis hin zu den klimatischen Kipppunkten, die entscheidenden analytischen Schrittfolgen, wird nicht bis zu den Wurzeln der Zerstörung des Planeten Erde gegraben. (22) Dieser argumentative Verkürzungsmodus ist nicht dem wissenschaftsimmanenten Umstand geschuldet, dass Klimaforscher und –mahner bedauerlicherweise die eine oder andere Einzelheit übersehen können, sondern ein systematisches Defizit, das wissenschaftliches wie aktionistisches Eingreifen als roter Faden durchzieht: (23) Die Klima-Zerstörungs-Konstante fehlt in allen Analysen, in den umfänglichen Forschungsprogrammen. (24) Die Annäherung an die Ebene III ist den KlimaforscherInnen in der Regel fremd, auch den 14000 von ihnen, die ihren Appell an die weltweit verantwortlichen PolitikerInnen geschickt , den dreihundert deutschen, die sich zur gleichen Zeit zu Wort gemeldet haben, und den ExpertInnen des IPPC, die mit ihrem Bericht vom 8. August 2021 versucht haben, in die exklusive Welt der ökonomischen und politischen Klima-Hazardeure noch einmal mit faktischem Rückhalt argumentativ einzudringen. In die eigentlich für die Menschheit so lebenswichtigen Forschungen und Berichte, in die Argumentationsmuster von ExpertInnen und Organisationen oder Gruppen, die sich der klimatischen Gefahren sehr bewusst sind, hat sich diese Lücke als systematischer wie als systemischer Fehler eingegraben. Es stimmt zweifellos, dass Mahnungen und Warnungen folgenlos bleiben, wie die Kritik an der Klimapolitik stereotyp lautet, weil Politik und Ökonomie mit einer penetranten Ignoranz reagieren, bis zum heutigen Tage. Die Klimaforschung übersieht aber darüber hinaus, dass die wirklichen, die systemimmanenten Gründe für diese Verweigerungshaltung, aufgedeckt werden müssen, indem die entscheidenden globalen Zusammenhänge zunächst analytisch herausgearbeitet werden , um sie dann politisch praktisch werden zu lassen. Aus ihren Modellen eines globalen Ökosystems, in dem alles mit allem zusammenhängt und Störungen von Teilsystemen das Ganze bedrohen können, haben die ForscherInnen und MahnerInnen die menschlichen Beziehungen, also die besonderen zwischen den BewohnerInnen der Nord- und denen der Südhalbkugel, als wichtigsten Faktor, als das "Sesam-öffne-Dich" in eine Welt ohne die Bedrohung durch eine klimatische Apokalypse, ausgeklammert. Solange kenntnisreiche klimaschützende WissenschaftlerInnen sich darauf beschränken, Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe wie die Verringerung des Ausstoßes von Treibhausgasen in den Industrieregionen des Nordens einzufordern (25), schützen sie den rassistisch-kolonialistischen Lebensstil weiterhin, wie seit Jahrhunderten gewohnt, und erweisen dem Kampf gegen den Klimakollaps letztlich einen Bärendienst. Erst wenn sie begreifen, dass die erste und wichtigste Forderung lauten muss, "das Übel bei der Wurzel zu packen", wird es vielleicht gelingen, die Menschheit vor dem Aussterben zu bewahren. Gelingt dieser analytische systemtranszendierende Schritt nicht, wird das Leben auf der Erde zu einem Desaster werden, dessen Imponderabilien vorzustellen keine Phantasie ausreicht.Der "weiße Fleck" auf der analytischen Landkarte irritiert, weil ein bemerkenswerter Teil der KlimaschützerInnen (26) sich einig sind, dass – grob gesagt, denn es gibt viele Nuancen der Kritik – die politisch Verantwortlichen weltweit, in Kumpanei mit einer auf fossile Energieträger fixierten Industrie, einer chemie- und genverseuchten Landwirtschaft und einer landschafts- und regenwaldvernichtenden Fleischindustrie, um nur einige der wichtigsten blindwütig-zerstörerischen AkteurInnen zu nennen, progressiv versagen. Viele KritikerInnen haben den Zusammenhang zwischen defensiv-bedrohlicher Klimapolitik und kapitalistischer, neoliberaler politisch-ökonomischer Strategie, durchaus erkannt, deren ProtagonistInnen seit Jahrzehnten eine ungebrochene Borniertheit gegenüber den Schäden, die sie anrichten, und deren Folgen pflegen und nicht müde werden zu heucheln, wie wichtig ihnen der Schutz des Klimas und des Lebens ist. Bei Demonstrationen der Fridays for Future enthalten selbstgefertigte Transparente häufig Hinweise auf kolonialistische, imperialistische und rassistische Verbindungen zur Klimazerstörung, und es wird nachdrücklich auf die auf der Südhalbkugel lebenden Menschen hingewiesen, die am wenigsten zur Klimazerstörung beitragen, aber am schnellsten und am härtesten von ihr getroffen werden. Diese Opfer von maximiertem Profit und exzessivem Konsum geraten eher ins Blickfeld der AktivistInnen gegen den Klimafrevel als ins wissenschaftliche, obwohl gelegentliche Argumentationssplitter eine gewisse Affinität zu einer humanistischen Perspektive auf Klima und ihre produktiven Grundlagen bergen, wenn etwa die Externalisierung (27) als Verlagerung der Entsorgungskosten für Massengüter – vor allem Elektro- und Elektronikschrott und Plastik - in den Süden, nach Afrika, Asien usw., faktenreich und politisch pointiert dargestellt wird.

Seit Jahrzehnten, so lautet die klimawissenschaftliche Bilanz, lassen die Aussagen der Untersuchungen von KlimaexpertInnen, ihre Schlussfolgerungen und die aus ihnen resultierenden Handlungsempfehlungen an Politik und Gesellschaft, die wichtigsten ursächlichen Variablen, die in der Klima-Zerstörungs-Konstante zusammengefasst sind, unberücksichtigt. KlimaexpertInnen, die sich nicht darauf beschränken, messbare Prozesse zusammen- und Verbindungen zwischen ihnen herzustellen, um exponentielle Veränderungen der Erderwärmung, des Abschmelzens von Gletschern und Polareis und der Meeresströmungen plausibel und überzeugend nachzuweisen, kommen zwangsläufig zu vollständigeren Erkenntnissen, in denen die eigentliche Tragik der Klimazerstörung nicht länger fehlt: In ihren Modellen gibt es Kurven und Balken, in denen die Ebene III ihren Niederschlag findet, sie kombinieren naturwissenschaftliche und politisch-ökonomische Darstellungen, denen zu entnehmen ist, dass nicht primär die ungebremste Zunahme der Nutzung fossiler Brennstoffe in die Katastrophe führt, sondern, als "Nahrungsquelle", als materielle und soziale Basis für sie, die Zunahme des aggressiv-militanten Verlagerns der Stoffe und Produkte aus dem Süden in den Norden.

Klima und Faschismus

Wenn Kritik an Klimazerstörung und Klimapolitik etwas differenzierter wird, verweist sie auf verbohrte Wachstumsideologie, auf die weltweite Finanzmafia, in den konsequentesten Fällen auf das kapitalistische System, ökonomische Globalisierung oder die neoliberale Entfesselung der Märkte. Die Opfer dieser Ausbeutungsexzesse westlicher Konzerne und ihrer politischen Verbündeten werden zur Kenntnis genommen, ihre Lebensumstände angeprangert – aber überwiegend mehr bedauernd, mitfühlend als analytisch konsequent. Die KZK und ihre kolonialistischen, imperialistischen und rassistischen Stützpfeiler, also das eigentliche Bedrohungspotenzial für alle Menschen, ist in nahezu allen Bereichen der nord-westlichen Daseinsräume so gut wie nicht präsent. Es fehlen Einsicht und Gewissheit, dass die K-I-R-Agenda unser aller Leben seit 500 Jahren tagtäglich prägt, ihm seine materiellen, zum Teil auch seine geistigen, kulturellen und andere lebenswichtige Grundlagen liefert, in Europa und Nordamerika, teilweise auch in einigen asiatischen Ländern und auf dem ozeanischen Kontinent, und dass sie gerade deshalb für den drohenden Klimakollaps verantwortlich ist. Diese Gewissheit ist nicht nur als "missing link" in der Klimaforschung auffällig, sie ist in unser Alltagsleben, das von Klimastörungen bislang eher peripher tangiert worden ist, nicht vorgedrungen. Wie wenig und mit welchen Folgen, deutet ungewollt die taz vom 11.08.2021 an: Sie nähert sich verräterisch dem klandestin rassistischen gedanklichen Bollwerk gegen den Zusammenbruch des jahrhundertealten europäischen Selbstbetrugs unter der Unterüberschrift: "Sind wir nicht zu spät dran mit unseren Vorschlägen zur Klimarettung? Und selbst wenn wir es schaffen – was ist mit dem Rest der Welt?" (28) Die Frage greift auf das nicht mehr zu verdrängende klimapolitische Thema zu, um zugleich die wesentlichen Zusammenhänge zu vernebeln. Sie und der ihr folgende Text suggerieren, dieser "Rest" sei auch von den Veränderungen des Klimas und vielleicht noch stärker betroffen als wir Europäer, was den bekannten Tatsachen durchaus entspricht. Ausgeblendet wird, dass die anderen, um die der Autor sich sorgt, von uns allen doppelt gequält, also von zwei Katastrophen getroffen werden, die er, seine LeserInnen und wir alle zu verantworten haben: Sie müssen dem westlichen Publikum das "Futter" für die Mästung von "Wirtschaftswachstum" und beliebige konsumtive Verfügbarkeit von nahezu allem, was sein Begehr ist, liefern, um dann durch die Erderwärmung mit ihren Folgen, die alsbald Hunderte von Millionen in die Flucht, in Elend und tödliche Krankheiten treiben wird, gestraft zu werden.

Nicht nur die taz, auch andere kritische Stimmen fallen ein in den Chor der FragestellerInnen, die zwar keinen Zweifel an einschneidenden Klimaveränderungen haben und in vielen Berichten und Kommentaren, die eine oder andere Zumutung der Wirklichkeit von Neoliberalismus und Konsumexzessen bloßlegen. Wenn es aber um "die offenen Adern Lateinamerikas" (29) und Afrikas und Südostasiens und Südamerikas geht, um die wirklichen Krankheitsherde des Globus, stockt der analytische Atem. Die fragende Hartnäckigkeit verliert sich, wenn es um die grausamen Formen der Ausbeutung von Menschen und Natur, die Zerstörung von klimatischen Steuerungszentren wie den Regenwäldern, um die Vernichtung von Lebensräumen ganzer Völker für den Abbau von Bodenschätzen, für beschleunigte technologische Aufrüstung und ihre substanzielle Bedeutung für unser Dasein, geht. Die Vergiftung von Menschen und Landschaften durch ungeschütztes Hantieren mit ätzenden Stoffen und Pestiziden auf Äckern und Plantagen, die dem Globus und einem zahlenmäßig überwiegenden Teil der Menschheit die größten, schmerzlichsten unheilbaren Wunden geschlagen haben, damit wir Europäer und Amerikaner dick und fett werden und im Überfluss schwelgen können, werden eher übersehen. Gemessen an der Klima-Zerstörungs-Konstante und ihrem K-I-R-Nervenzentrum, das nach wie vor mit einer befremdlichen – oder, wie Marx treffender sagt, entfremdeten – Gleichgültigkeit zur Sicherstellung des alltäglichen Wohlbefindens hingenommen wird, darf die Moral ins Spiel kommen (30): Es ist nicht bekannt, dass der deutsche Ethik-Rat mit aufrüttelnden Appellen zu einer moralischen Haltung aufgerufen hätte, die Ausbeutung, Unterdrückung und kriegerische Einsätze von Bundeswehrsoldaten als unverantwortlich und verbrecherisch anprangern; von sonstigen für moralische Erziehung und Orientierung zuständigen Institutionen, Organisationen usw. ganz abgesehen.

Woher soll das klima- und lebensrettende "Futter" auch kommen? Weder zur Schul- noch zur Hochschulausbildung gehören, so selbstverständlich wie Mathematik, Physik und andere Standardfächer, eine fachlich-umfassende Aneignung von Wissen, Kompetenzen und Reflexionszusammenhänge über ihre materiellen und ideellen Grundlagen. Beschäftigung mit der Entwicklungsgeschichte der jeweiligen Fächer und ihre Bedeutung für gesellschaftliche und technologische Innovationen und Fortschritte findet nicht statt. Ein untrüglicheres Zeichen für gesellschaftliche Verdrängungsprozesse gibt es kaum: Was aus Sozialisations- und Bildungsprogrammen ausgeblendet wird, soll im Denken und Fühlen der Heranwachsenden keinen Platz haben. Wie eng die von ihnen akkumulierten Kenntnisse, ihre einzelnen Lernschwerpunkte und später ihre beruflichen Fachgebiete mit den Raubzügen weiter südlich und östlich zusammenhängen, hat den meisten von ihnen nie jemand erzählt. Die notwendigen materiellen Ressourcen stehen ihnen zur Verfügung – woher sie kamen, wem sie gehören und wie sie nach Europa gelangen, steht nicht auf Stunden- und Lehrplänen. Von manchen unermüdlichen KämpferInnen gegen Kolonialismus und Imperialismus abgesehen, die nicht ausschließlich Marxisten oder Kommunisten waren und sind, fand die Einbindung der historischen und materiellen Fundamente des Aufblühens von Wissenschaft und Kultur in der Renaissance bis hin zur digitalen Umwälzung vieler gesellschaftlicher Prozesse, ohne einen theoretischen oder praktischen Bezug zu ihren Grundlagen statt. Es war, wie es war, und darüber nachzudenken, warum es so war und welche konkreten Bedingungen – bzw., auf den Einzelfall bezogen, glücklichen Umstände –, sie wie geformt hatten, ist inopportun. Wissen anzueignen, Kompetenzen zu erwerben, ist, systemisch gesehen, abgekoppelt von den globalen Rahmenbedingungen. Wissenschaft in Theorie und Praxis fügen sich ein in die gegebenen Umstände und überschreiten, wenn sie sich kritisch verfeinern, den vom Status quo bzw. vom Mainstream vorgegebenen Rahmen nicht. Wenn Basaglia der Gruppe der medizinischen und sozialen ExpertInnen vorhält, sich selbst ihren Domestizierungsprojekten und Anpassungsritualen auszuliefern, ohne zu fragen, welchen Herren und welchen Zielen ihre Befriedungsverbrechen eigentlich dienen, (31) und Chomsky ihnen vorwirft, als die neuen Mandarine dazu beizutragen, Menschen an sie kränkende und zerstörende Zustände und Verhältnisse anzupassen, (32) sagen sie etwas Entscheidendes: Selbstreflexion und systemische Verortung dessen, was sie tun, gehört nicht zum selbstverständlichen methodischen Inventar nord-westlicher Bildung und Wissenschaft.

Dieser Mangel gilt leider nicht nur für die KlimaforscherInnen, die keinen Schimmer davon haben, inwieweit die Ebene III für ihre Analysen und Entwürfe eine Rolle spielen müsste, damit wirksame Konzepte für ein globales Gegensteuern entwickelt werden könnten, sondern ist stilbildend für das gesellschaftliche Bewusstsein. Mit stoischer Selbstverständlichkeit halten die meisten Menschen auf der Nordhalbkugel an ihren Privilegien und Lebensstilen – angesichts des kollektiven Selbstbetrugs quasi so "naturgemäß" - unerschütterlich fest, dass ein auch nur rudimentäres Nachsinnen über das zusammengestohlene Gerüst, das sie trägt, keine reale Chance hat. (33) Vorschläge und Initiativen dringen nicht zu der Tatsache vor, dass primär nicht etwa ihr "Lebensstil", sondern ihre lapidare K-I-R-Lebenslüge nach wie vor das eigentliche Fundament für den Klimawandel ist. Diese Einschätzung gilt auch für jene Angehörigen der links-liberalen Mittelschicht, die aufgrund ihres theoretischen und empirischen Wissens eigentlich zu konsequenter und radikaler Aufklärung berufen wären und mit ihren Mahnungen und Warnungen auch demonstrieren, dass sie es ernst meinen. Aber die meisten von ihnen leiden an argumentativer Verkürzung, vielleicht aus wissenschaftstheoretischer Einseitigkeit, (34) vielleicht aus (wissenschafts-)politischer Borniertheit. Die Folgen sind dramatisch, nicht nur, weil die Defizite ihrer Proteste und Einwände irgendwelche Hoffnungen auf wirksame Gegenwehr eintrüben, sondern weil die gesellschaftlichen Konsequenzen ein beängstigendes Bedrohungspotenzial bergen.

Die Nazis waren noch weit weg, aber das rassistische Gewebe faschistischer Ideologie und Vernichtungsstrategie begann schon im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert zu wachsen, allerdings diente es jahrhundertelang vor allem der Nutzung und Ausrottung der Lebensunwerten jenseits des Zivilisationsäquators. Neben Voltaire lieferten etwa Francis Galton und Arthur de Gebineau angebliche wissenschaftliche Begründungen für rassistische Gräuel. Erst im auslaufenden 19. Jahrhundert verdichtete sich das Selbst-Bewusstsein pseudo-intellektueller und gewaltbereiter Starrköpfe, die "Krone der Schöpfung" zu sein, in ein rassentheoretisches Herumstochern im Wust der gesellschaftlichen Vielfalt, aus dem schließlich, schein-wissenschaftlich eingezäunt, das Konzept des rassisch Lebenswerten hervorkroch und zur Waffe der Ab- und Aussonderung von nicht-lebenswerten Menschengruppen auch in Europa wurde. Die Tatsache, dass die K-I-R-Grundlagen des prosperierenden Lebens im Norden und Westen systematisch verdrängt werden, als wären sie nicht das Skelett unseres Lebens und das Puls unserer Existenz, hat nicht nur desaströse klimatische, sondern könnte grauenhafte zwischenmenschliche Folgen haben. Die Ignoranz gegenüber der ausbeuterischen und unterdrückerischen Dreifaltigkeit K-I-R hat dem faschistischen "Ausreißer" fast zwangsläufig die Wege in gedankliche, emotionale und ganz praktische faschistoide Mitmachszenarien geebnet. Aus der historischen Erfahrung ist zu lesen, dass dynamische gesellschaftliche Entwicklungen – wie jede andere auch - ihre Extreme haben, dass faschistischen Ideen und Handlungen nichts Wahnwitziges oder Verrücktes oder Teuflisches innewohnt, sondern dass sie faktischer und prognostizierbarer Ausdruck der kapitalistischen Produktions- und Lebensweise sind: "Wer aber vom Faschismus nicht reden will, soll auch vom Kapitalismus schweigen", mit diesem Satz machte Max Horkheimer (35) jedem, der es wissen wollte, klar: Faschistische Ideologie und perfektionierte Tötungsmaschinerie reizen die Grundlagen kapitalistischer Wirklichkeit bis zur Perfektion aus, sie sind ihr nicht wesensfremd, sondern entfalten ihre Kristallisationskerne Ausbeutung und Profitmaximierung in extenso, bis heute und morgen und übermorgen.

Wenn Kolonialismus, Imperialismus und Rassismus im Norden und Westen des Erdballs nicht als Gerüst des gelebten Alltags, das in allen seinen Facetten sichtbar und spürbar, also auch erkennbar ist, in Erkenntnisprozesse und Handlungsansätze eingebunden werden, wachsen nicht nur die Gefahren durch weitere und bedrohlichere Klimaveränderungen. Zugleich, systematisch verbunden mit diesem Verzicht, die Wahrheit über unsere ökonomische und politische Hybris zu sehen, zu hören und sich ihr zu stellen, lauert die Gefahr der faschistischen Kipppunkte neben, vor und hinter uns. Sie rechtzeitig zu erkennen, verlangt anstrengende und unerlässliche Wachsamkeit, denn faschistoide Ausdrucksformen kleiden sich liberal, neoliberal, legal, demokratisch, angepasst, also kapitalistisch-normal. (36) Auf sie gegenwärtig hinzuweisen ist kaum unangemessen, denn ein historisch und gesellschaftspolitisch verankerter Faschismusbegriff lässt keine Wahl: Klima schützen heißt, die menschlichen Beziehungen weltweit nicht etwa auf den Prüfstand zu stellen, sondern sie zu revolutionieren, also das K-I-R-Monstrum aus dem menschlichen Zusammenleben zu vertreiben. Erst mit dieser Klappe wird auch die zweite Fliege erschlagen: Faschistischen Exzessen wird der ökonomische, ideologische und emotionale Boden entzogen. (37)

Eine Ahnung von dem, was mit den Defiziten der Anti-Klima-Zerstörungs-Bewegung gemeint ist, vermittelt ein Blick auf das Wirken von Bertrand Russell. Als "Vater" der nach ihm benannten Tribunale bestand sein öffentliches Anliegen darin, Wissenschaft und Politik zu kämpferischer Intervention, zu aktiver Gestaltung von ungerechten und gewalttätigen Lebensverhältnissen zu verschmelzen. Seine Stärke war, fachspezifische Horizonte auszuloten und zugleich zu überwinden, um zu versuchen, Bedrohungen und Gefährdungen von einzelnen Menschen, ganzen Gesellschaften und nicht zuletzt der global involvierten Menschheit zu verhindern. Russell nannte Unterdrückung beim Namen, wie Repression, Ausgrenzung, Vernichtung von menschlichem Leben für die Interessen Einzelner. Er wusste, was strukturelle Gewalt mit Menschen macht, woher sie kommt und wem sie dient. Seine Einsichten und Aktionsmuster hat Wissenschaft überhaupt, aber eben auch die Klima-Wissenschaft und die aktive Gegenöffentlichkeit, durch analytische Kurzsichtigkeit, praktische Kurzatmigkeit und politische Unbekümmertheit ersetzt.

Erst wenn die - wissenschaftliche - Kritik an der drohenden klimatischen Implosion Raubbau diese Grundpfeiler und die aus ihnen resultierenden Feinheiten der Erklärung gesellschaftlicher Ungleichheit explizit benennt, kann sie aufdecken, dass die Hauptwurzel des Übels Klimaveränderung auch die des imperialistischen Lebensstils ist und dass die in ihm verborgene Anspruchshaltung, alles haben zu müssen, weil alles zu haben ist, einer fundamentalen Revision bedarf. Egal, welche Worte oder Begriffe im einzelnen gewählt werden, analytisch führt kein Weg in eine Zukunft ohne Kollaps der natürlichen Lebensbedingungen an einer deutlichen und unerbittlichen Kritik am kapitalistischen System vorbei, das nicht nur gewissermaßen im Blindflug in der Klimakatastrophe mündet, sondern in einem globalen Überlebenskampf, für den die Erfahrungen zwischen 1933 und 1945 nicht mehr als ein dissonantes Präludium waren.

Fußnoten:

1 Ein besonders drastisches Beispiel: Die sogenannten Investitionsschutzabkommen, die einer Gerichtsbarkeit ohne jegliche öffentliche und demokratische Kontrolle die Macht geben, arme Länder auf ewig zu verschulden. Der Podcast über Ecuador – s. Endnote…schildert ein aktuelles Beispiel.

2 Naomi Klein hat in ihrem Buch "Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus" (2021) bis in viele politische und ökonomische Details hinein nachgewiesen, wie Verwüstung, Vernichtung, Zerstörung systematisch geplant und durchgeführt werden.

3 Ein inzwischen weltweites verbrecherisches Arrangement zwischen InvestorInnen und korrupten Regierungen oder anderen politischen und ökonomischen GewalttäterInnen, das die fast niedliche Bezeichnung "land-grabbing" trägt,.

4 Ein besonders barbarisches Beispiel schildert Alexander Micha in seinem Bändchen „Konquistadoren in Peru. Aufstieg und Fall der Brüder Pizarro nach Bildern und Texten von Theodor de Bry“, Clara, Heft 12, 2004.

5 Nach wie vor der Klassiker dieser widersprüchlichen Seiten der Aufklärung: Adorno, Th.W. & Max Horkheimer, Dialektik der Aufklärung, div. Ausgaben.

6 Jean.-Claude Machea hat in seinem Büchlein "Das kleinere Übel. Über die liberale Gesellschaft" (2014) klar und pointiert nachgezeichnet, wie das liberale Bürgertum seine Vorstellungen rigoros politisch, ökonomisch und wissenschaftlich durchgesetzt hat. Ähnlich Rainer Mausfeld, "Die liberale Mitte als demokratische Maske", in Tariq Ali et al. , "Die extreme Mitte" (2020).

7 Der schönste, weil einprägsamste Satz stammt immer noch von Jean-Jacques Rousseau: Rousseau, der in einem lebendig-einfachen Bild der Wahrheit über die menschliche Gattung, über den neoliberalen Kapitalismus und über die hier und heute und künftig notwendigen Veränderungen, die in der Geschichte verborgen ist, Ausdruck verliehen hat: „Der erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab und auf den Gedanken kam zu sagen 'Dies gehört mir' und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der eigentliche Begründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wie viel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: 'Hütet euch, dem Betrüger Glauben zu schenken; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, aber die Erde niemandem gehört'".

8 "Wir" und "uns" sind keine übergriffigen kumpelhaften Anbiederungen, sondern bringen zum Ausdruck, dass alle, die im Nord-Westen ihren Lebensmittelpunkt haben, ProfiteurInnen und MitmacherInnen sind.

9 Zuletzt am 09.07.2021, Lang- und Kurzfassungen im Netz verfügbar.

10 Sollte es keine entsprechenden Untersuchungen geben, wäre es an der Zeit, sie zu beginnen.

11 Marx & Engels passim; Lenins "Der Imperialismus als höchste Form des Kapitalismus" ist als analytischer Text nach wie vor beispielhaft, Frantz Fanon hat mit "Die Verdammten dieser Erde" den Opfern des Kolonialismus in Afrika ein Denkmal gesetzt (Wie auch Jean-Paul Sartre in seinem Vorwort), Eduardo Galeano hat mit "Die offenen Adern Lateinamerikas" nicht nur beispielhaft gezeigt, wie Ausraubung und Zerstörung Hand in Hand gehen, sondern im Grunde eine flammende Anklageschrift gegen die westlichen AusbeuterInnen verfasst, Aimé Césaire hat in vielen Büchern, u.a. in „Über den Kolonialismus“ (2017) das schamlose Wüten der Kolonialdamen und -herren angeprangert.

12 Franco Basaglia hat in seinem Text "Befriedungsverbrechen" im gemeinsam mit seiner Frau Franca Basaglia-Ongaro herausgegebenen) Buch "Befriedungsverbrechen. Über die Dienstbarkeit der Intellektuellen" (1975) scharfzüngig die Rolle der den Herrschenden nützlichen angepassten Intellektuellen kritisiert, an der sich bis heute nichts geändert hat.

13 Im weiteren Verlauf gelegentlich als "K-I-R" abgekürzt.

14 In einem beeindruckenden Feature auf WDR 5 hat die Journalistin Elisabeth Weydt nahezu alle Facetten imperialistischen Terrors in Ländern, die für den nord-westlichen Luxus wichtige Bodenschätze beherbergen, am Beispiel Kupfer und Ecuador, sichtbar gemacht: "Aufstand im Kupferwald – Zerstört die grüne Wende das Paradies" (Mediathek, verfügbar bis 06.07.2026, kann heruntergeladen werden.)

15 Die Zusammenstellung von Inhalten auf den drei Ebenen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

16 Dahinter steckt eine schon verzweifelt zu nennende Hoffnung, denn die UNO und ihre vielen Institutionen haben seit ihrem Bestehen die Welt für die meisten Menschen nicht lebenswerter gemacht – der Weltsozialrat könnte so etwas wie ein letzer Versuch sein.

17 "Süden" ist als Sammelbezeichnung zu verstehen, die Dimensionen der Ausbeutung im "fernen" Osten sind hinlänglich bekannt.

18 Diese kurze Skizze eines "Strategischen Konzepts" soll nicht mehr als ein Auftakt sein für eine Strategie, die im besten Sinne revolutionäre zu nennen wäre.

19 Rousseau hat, über das o.g. Zitat – (6) – hinaus, zur Absurdität des Privateigentums viele Ideen entwickelt.

20 Kaum zu übertreffen sind die Worte von Lewis Mumford in "Mythos der Maschine" zur neolithischen Dorfkultur (1971, fischer alternativ S. 178).

21 September 2021, kurz vor der Wahl zum Bundestag: Im "Wahlkampf" (ohrenbetäubende Phrasenschwärme aus Gazetten und Lautsprechern, ununterbrochene Salven aus Floskelspeichern, die keine Silbe einer Perspektive für ein ernsthaftes umfassendes Vorgehen gegen Klimakollaps, geschweige denn gegen KZK und K-I-R, enthalten.

22 Ein typisches Beispiel: Harald Lesch in einem Vortrag der SWR-Akademie (vor drei Jahren): "Die Menschheit schafft sich ab". Viele kluge Gedanken zur menschengemachten Klimaimplosion, aber ohne eine globale Beziehungsperspektive.

23 An dieser Stelle soll nur angedeutet werden, dass dieses reduktionistische Herangehen an Wirklichkeit durchaus typisch für die Mainstream-Wissenschaft ist. Positivismus und Systemtheorie haben das Denken, den analytischen Blick, aller Wissenschaftsdisziplinen in einer Weise verengt, die ihre VertreterInnen noch in ihren schärfsten Kritiken an Politik und Ökonomie zu Kollaborateuren machen. "Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie" , herausgegeben von Adorno, hat die nötige Wirkung nicht erzielt, seine "Minima Moralia" sind viel zu wenig von Intellektuellen zur Kenntnis genommen worden, und der analytische, gesellschaftsverändernde Reichtum vieler kritisch-theoretischer Schriften ist wissenschaftsintern verschleudert worden, auch in der Klimaforschung.

24 Mit aller Vorsicht gesagt, Irrtümer aus Unwissenheit nicht ausgeschlossen.

25 Keine Frage, China spielt auch eine Rolle, aber hier geht es um den "Werte-Westen" mit seinen brandschatzenden Ausflügen in die weite Welt.

26 "Ende Gelände", BaumbesetzerInnen am Hambacher Forst und inzwischen an vielen anderen Orten, „extinction rebellion“ usw. In der taz vom 9. September 2021 ein Beitrag von Carola Rackete, die die Fridays-for-Future-Anführerinnen Luisa Neubauer und Carla Reemtsma unmissverständlich mahnt: "Seid Sand im Getriebe!"

27 Beispielhaft: Stephan Lessenich, "Neben uns die Sintflut. Die Externalisierungsgesellschaft" (2020), informativ und engagiert, aber eben auch halbherzig, was Albrecht Müller auf den "nachdenkseiten" treffend so ausdrückt: "Ein wortgewaltiger Analyseversuch ohne praktische Konsequenzen".

28 „Ist grünes Wachstum möglich“? taz, 11. August 2021.

29 S. Endnote 9.

30 Evi Hartmann, "Wie viele Sklaven halten Sie?" (2021) – starke Worte gegen den westlichen Lebensstil und den Umgang mit Menschen aus dem Süden, aber auf Moral verkürzt, ohne analytische Substanz.

31 Siehe Endnote 11.

32 Noam Chomsky, Die Verantwortlichkeit der Intellektuellen (1971).

33 Das ist nun nicht nur irgendeine Behauptung. In einer Pressemitteilung der FOM (Hochschule für Berufstätige) vom 23.08.2021 heißt es: "Urlaub, Auto, Fleisch: Eine bundesweite Umfrage der FOM Hochschule unter mehr als 14.000 Menschen zeigt, dass die Mehrheit der Bundesbürgerinnen und -bürger nicht bereit ist, zugunsten des Klimas den eigenen Lebensstil zu verändern" In der "Allianz für Klima und Gesundheit" hat es dazu eine kontroverse Diskussion gegeben, deren Ergebnis sich so zusammenfassen lässt: Erstens: Es wäre nötig, dass mehr Bereitschaft zur Veränderung entsteht, aber keiner weiß so genau, wie das gehen könnte. Zweitens: Kein Wort zu den KZK-Grundlagen und die Notwendigkeit, sie in den Fokus von Veränderungen zu nehmen.

34 Siehe dazu Endnote 20.

35 Original in "Die Juden und Europa. In: Studies in Philosophy and Social Science, Band 8. The Institute of social research, New York, 1939, S. 115."

36 Günter Rexilius, "Die Populismus-Falle" (Neue Rheinische Zeitung, Nr. 630, 27.09.2017).

37 Der Text "Vom Faschismus redet, wer über Kapitalismus nicht schweigt (Déjà-vu, 2017)" (Günter Rexilius unter Pseudonym Autorenkollektiv K) in Neue Rheinische Zeitung, Nr. 643, 17.01.2018, diskutiert dieses Thema ausführlicher.
Siehe im Rahmen der Debatte auch:Auf dem Weg zu einer neuen totalitären Weltwirtschaftsordnung
Null CO2: Die große kriminelle Verschwörung
Von F. William Engdahl / LUFTPOST
NRhZ 765 vom 14.04.2021
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27354Eine weltbewegende Frage
Wer spricht hier?
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 765 vom 14.04.2021
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27367"World War Zero" – Die Klima-Kampagne wird zum Weltkrieg
Der Tiefe Staat taucht auf
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NrhZ 728 vom 04.12.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26400Europäisches Parlament stimmt für die Kernenergie
Ist die Kernkraft "grün", "CO2- und klimaneutral"?
Von Claudia von Werlhof
NRhZ 728 vom 04.12.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id= 26401Fotogalerie
#Neustartklima – Internationaler Klimastreik am 29. November 2019
Für Klima oder Kapital?
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 728 vom 05.12.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26421Zur Kritik von Jeremy Rifkin: Der globale Green New Deal
Schöne "grüne" Digi-Welt? Oder: Die neue "grüne Revolution"?
Von Claudia von Werlhof
NRhZ 724 vom 06.11.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26316Was die Strategen der Klima-Kampagne schon im März zu sagen wußten
Greta, wunderbar!
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 725 vom 13.11.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26338Zweiter Offener Brief an Greta Thunberg
Greta und die große Ver(w)irrung
Von Claudia von Werlhof und Diskussionsgruppe der „Planetaren Bewegung für Mutter Erde“
NRhZ 721 vom 02.10.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26260Die Klima-Kampagne
Monströse Massenmanipulation
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 720 vom 25.09.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26223

Der Beitrag erschien erstmalig „Neuen Rheinischen Zeitung
 

Denken Sie immer: daß wir nur eigentlich für uns selbst arbeiten. Kann das jemand in der Folge gefallen oder dienen, so ist es auch gut. Der Zweck des Lebens ist das Leben selbst.

 

Johann Wolfgang von Goethe
(1749 - 1832), deutscher Dichter der Klassik, Naturwissenschaftler und Staatsmann
Quelle: Goethe, Briefe. An Johann Heinrich Meyer, am 8. Febr. 1796
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